Natur + Reisen, Natur + Umwelt
Europas Bauwirtschaft boomt, sie ist der Motor des Wirtschaftswachstums und einer der größten Arbeitgeber. Doch dieser Trend hat enorme Schattenseiten: Der ökologische Fußabdruck ist riesig. Etwa 40 Prozent der globalen Ressourcen werden auf dem Bau verbraucht, dabei gibt es praktikable Alternativen: Viele Stoffe, die schon einmal der Natur entnommen wurden, können wiederverwendet werden. Städte sind ein riesiges, von Menschen geschaffenes Rohstofflager. Jedes neue Gebäude verschlingt riesige Mengen an Rohstoffen und Natur. Zement, der überall zur Herstellung von Beton verwendet wird, gehört dabei zu den besonders großen Klimasündern. Auf sein Konto gehen etwa acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Und wichtige Rohstoffe wie Kupfer und Sand werden allmählich knapp. Höchste Zeit für ein Umdenken in der Branche: Experimente in Deutschland und Unternehmen in Wien, Amsterdam und Kopenhagen zeigen, dass es alternative Lösungswege gibt. Klimafreundliches Bauen ist möglich, denn viele der Stoffe, die wir bereits einmal der Natur entnommen haben, können wir wiederverwenden. "Wir müssen lernen, so zu denken und zu planen, dass beim Abriss oder Rückbau kein Abfall mehr entsteht", fordert Professor Annette Hillebrandt, Architektin und Wissenschaftlerin von der Bergischen Universität in Wuppertal. "Unsere Deponien sind bereits voll." Am liebsten wäre der Vordenkerin des Recyclingbauens, dass alle Hersteller zur Rücknahme ihrer Produkte gesetzlich verpflichtet würden. Dann wären sortenreinere Stoffe auf dem Markt, die immer wieder verbaut werden könnten. Auf den Gesetzgeber will der dänische Architekt Anders Lendager nicht mehr warten. Der Zukunftsdenker und Unternehmer hat am Kopenhagener Hafen das firmeneigene Recyclinglager aufgebaut. Hier finden er und sein Team die Planungsgrundlage für spektakuläre Neubauten. Ausgebaute Fenster aus renovierten Schulen, Ausschusshölzer, Recyclingbeton und alte Ziegelmodule werden in die Entwürfe ganzer Straßenzüge eingearbeitet. Lendager ist überzeugt: "Wir sind der nächsten Generation verpflichtet. Wir müssen Vorbilder sein, in der Art, wie wir bauen, leben und unsere Ressourcen schonen." Das weiß auch Brigitte Kranner. Zusammen mit ihrem Mann leitet sie die Geschäfte eines großen Altmetallhandels in Wien. Kranner gilt als Recyclingexpertin und "Urban Minerin" der ersten Stunde. Wenn es um alte Kabel, aussortierte Heizungen oder Aluminiumfenster geht, sieht sie hinter den oft verklebten und verschmutzen Metallen den wahren Wert. "Zum Beispiel wie hier beim Kupfer", erklärt sie, während sie das hellrosa leuchtende Metall aus einem alten Kunststoffmantel schält. "Das wird zu 100 Prozent recycelt, einfach eingeschmolzen und wieder zu perfektem Kupferdraht." Dieses Prinzip könnte für viele Bauteile gelten, meint Kranner. "Wir sollten so viel wie möglich von dem verwenden, was schon hier ist - und so wenig wie möglich der Natur entnehmen." Tom van Soest etwa holt in den Niederlanden Ziegelbrüche, Dachpfannen, Mörtelreste und Fliesen aus Abbruchhäusern. Er zerkleinert, mischt und mixt den Abfall mit neuem Lehm. Er ist von der Idee getrieben, dass etwas Neues, Schönes aus dem Schutt entstehen könnte. Es dauerte lange, bis er die richtige Rezeptur für neue Steine hatte, erzählt der Designer im Rückblick. Inzwischen verarbeitet seine Amsterdamer Firma 1000 Tonnen Abfall pro Jahr zu neuen, bunten Klinker-, Fassaden- und Bausteinen. "Ich wollte immer eine farbenprächtige Fassade", schwärmt Cecilia Petit, eine der ersten Kundinnen, auf der Terrasse ihrer Wohnung in Amsterdam. "Jetzt ist sie fast wie bei einem Hundertwasser-Haus." Bevor das alte Dortmunder Kohlekraftwerk Knepper in einer spektakulären Sprengung zu Schutt und Asche verfällt, holen engagierte Architekturstudentinnen und -studenten intakte Stahlrohre heraus. Sie starten ein Experiment: Es soll ein Pavillon für die Bundesgartenschau in Heilbronn entstehen, ausschließlich mit Materialien, die bereits einen Lebenszyklus hinter sich haben. Die Stahlrohre verwandeln sich zu Stahlträgern, die wie die Äste eines Baumes einen offenen Kubus halten. Das Recyclingglas der Fassade kommt aus Brauch- und Bruchglas, der Boden wird von weißem Porzellanbruch bedeckt. "Er glitzert wie Schnee", schwärmt Lisa Krämmer, eine der Studentinnen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). "Wir haben keine Kleber und keine Anstriche verwendet, es gibt auch keine Silikonfugen. Der Pavillon ist sortenrein, alle Stoffe lassen sich einfach wieder trennen. Sie können einen neuen Lebenszyklus beginnen."